Alte Giebel, buntes Fachwerk und uralte Inschriften: Ich stehe auf dem Marktplatz von Lemgo und lasse meinen Blick umherschweifen. Die Zeugnisse der Vergangenheit sind in dieser kleinen Stadt im Lipperland allgegenwärtig. Natürlich gibt es hier moderne Boutiquen, hübsche Cafés und die neuesten Trends – doch vieles davon ist in alten Mauern angesiedelt, in Häusern, die Jahrhunderte auf dem Buckel und viel gesehen haben. Ich schließe für einen Moment die Augen. Und ich versuche es mir vorzustellen. Wie war es hier vor rund 350 Jahren?
Damals schrieb Lemgo Geschichte. Die Stadt galt als eine Hochburg der Hexenverfolgung. Ihr Bürgermeister Hermann Cothmann war einer der eifrigsten „Hexenjäger“ seiner Zeit. Er sorgte dafür, dass die Fegefeuer in Lemgo immer wieder brannten, und ging mit diesem Ruf in die Geschichte ein.
Das Hexenbürgermeisterhaus
Vom Rathaus, einem prächtigen Bau direkt am Marktplatz, spaziere ich durch die Innenstadt und gelange nach wenigen Minuten zu einem der schönsten Häuser Lemgos – dem einstigen Wohnsitz Hermann Cothmanns. Es ist das „Hexenbürgermeisterhaus“ und beherbergt heute ein Museum (freier Eintritt). Eine Folterkammer sucht man vergebens, tatsächlich hat es hier auch nie eine gegeben. Interessant ist das Museum aber allemal.
Es zeigt die Biographien von Opfern der Hexenprozesse, die in der Zeit von 1583 bis 1681 stattfanden. Dazu kann man sich die damaligen Folterinstrumente ansehen und sich über ihre Wirkweisen informieren. Die Ausstellung hat mich unter anderen zur Geschichte meines Romans „Das Lied der Hexe“ angeregt.
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Textschnipsel aus dem Buch ‚Das Lied der Hexe‘:
Kirche St. Nicolai
Nur ein paar Gehminuten vom Hexenbürgermeisterhaus entfernt liegt die Kirche St. Nicolai, deren beiden ungleichen Türme hoch über den Marktplatz aufragen. Schon kurz nach der Stadtgründung (um 1190) hatten die Lemgoer damit begonnen, ihre erste Kirche zu bauen – als kreuzförmige Basilika im romanischen Stil. Sie weihten sie dem heiligen Nikolaus, Schutzpatron der Seefahrer und Fernhandelskaufleute. Nach mehreren Umbauten erreichte St. Nicolai 1375 ihre heutige Form. Eigentlich sollte der Chorraum wohl noch vergrößert werden, aber dazu kam es nicht mehr, nachdem eine Pestwelle über die Stadt hinweg gerollt war.
Zum Gedenken an Andreas Koch
Beim Besuch von St. Nicolai fällt einem ein Gedenkstein von 1999 ins Auge, der an einen früheren Pfarrer erinnert. Andreas Koch predigte von 1647 bis 1665 in St. Nicolai und begann irgendwann damit, die Umstände und Methoden der Hexenverfolgung in Lemgo anzuprangern. Das führte dazu, dass er selbst angeklagt, gefoltert und verurteilt wurde. Pfingsten 1666 fand er im Alter von 47 Jahren den Tod durch das Schwert und wurde anschließend verbrannt. Der Stein enthält als Inschrift einen Satz, den Andreas Koch in der Zeit seiner Folterung formulierte: „Gott wird endlich mein Haupt aufrichten und mich wieder zu Ehren setzen“.
Wer sich für die Zeit der Hexenverfolgung in Lemgo interessiert, kann an einem spannenden Stadtrundgang zu diesem Thema teilnehmen. Wer waren die der Hexerei angeklagten Frauen und Männer – wie und wo lebten Sie? Welche Spuren sind heute noch zu sehen? Die Stadtführer zeigen das Haus, in dem der Scharfrichter von Lemgo lebte und begleitet die Besucher zu all jenen Stätten, an denen Geschichte geschrieben wurde. Ein solcher Stadtrundgang kann direkt bei der Lemgo Information gebucht werden (Tel. 05261-98870, www.lemgo.de).
Ausschnitt aus „Das Lied der Hexe“:
Gemeinsam bummelten sie durch die Stadt, holten sich beim Fremdenverkehrsamt noch ein paar Broschüren über die Zeit der Hexenverfolgung und gingen dann in Richtung des Hexenbürgermeisterhauses. Allein die Fassade verschlug ihnen den Atem. Scott warf Sabrina einen fragenden Blick zu. Kam ihr dieses Haus auch bekannt vor? Aber Sabrina schüttelte nur den Kopf. „Nie gesehen. Aber es ist wirklich prachtvoll, nicht wahr?“
Die aufwändige Fassade war im Stil der Weserrenaissance gehalten. Am Unterbau gab es eine breite, mit vielen Fenstern bestückte Zone aus angesetzten und auf die Straße vorgeschobenen Vorbauten. Rechts befand sich ein Erker, der von Konsolen aufgefangen wurde. Die darüber liegende Fassade bestach mit Halbsäulen und Gesimsen.
„Unter einem Hexenhaus hatte ich mir irgendwie etwas Düsteres vorgestellt, nicht so ein schönes Haus“, sagte Scott.
Die Externsteine
Ein anderes Ausflugsziel im Lipperland, das eine bedeutende Rolle in meinem Roman „Das Lied der Hexe“ spielt, sind die Externsteine. Die 40 Meter hohe Felsformation bei Horn-Bad Meinberg gehört zu den bekanntesten Natur- und Kulturdenkmälern Deutschlands. Jedes Jahr besichtigen eine halbe Millionen Menschen die Externsteine. Besonders faszinierend sind das monumentale Kreuzabnahmerelief, die dahinter liegenden künstlichen Grotten, der Seiteneingang zur Kuppelgrotte mit den Resten einer Petrusskulptur, das offene Felsengrab und die Höhenkammer mit einer Altarnische.
Das Alter und die ursprüngliche Funktion der Anlagen sind bis heute umstritten. Seit dem 16. Jahrhundert vermuteten die Menschen, dass die Externsteine von einem heidnischen Heiligtum in eine christliche Stätte umgewandelt worden waren. Noch heute denken viele, die Externsteine seien ein keltisches oder germanisches Heiligtum oder eine Sternwarte gewesen. Archäologische Belege dafür fehlen allerdings.
Esoterisch angehauchte Zeitgenossen sehen die Externsteine als „Kraftort“ mit außergewöhnlichen spirituellen Eigenschaften an. 1953 verbrachte die Wahl-Inderin Savitri Devi eine Nacht in einer Höhle der Externsteine, die sie als altgermanisches Heiligtum ansah. Sie erzählte später, sie habe dort Tod und Wiedergeburt erlebt.
Zum 1. Mai, zur Walpurgisnacht und vor allem zur Sommersonnenwende finden an den Externsteinen festivalartige Feierlichkeiten von Esoterikern statt.
Als Ausflugsziel haben die Externsteine vom 1. April bis 29. Oktober (10 bis 18 Uhr) und vom 30. Oktober bis 5. November (10 bis 16.00 Uhr) geöffnet. In dieser Zeit kostet die Besteigung der Felsen drei Euro pro Person (Kinder 1 Euro).
Es gibt verschiedene Führungen und sogar Nachtwanderungen rund um die Steine.
Mehr Infos: www.externsteine-info.de
Textschnipsel aus „Das Lied der Hexe“:
Sabrina spürte ein Kribbeln am ganzen Körper. Was hatte sich einst an jener Stelle abgespielt, an der sie nun stand?
Noch einmal dachte sie kurz an Scott. Irgendwo in ihrem Herzen regte sich die Spur eines schlechten Gewissens. Vielleicht hätte ich ihm doch eine Notiz hinterlassen sollen, wohin ich gefahren bin, dachte sie. Doch genauso schnell, wie der Gedanke gekommen war, schob sie ihn wieder zur Seite. Scott hatte hier nichts verloren. Er würde sie nur stören. Sie wollte lieber alleine hier an den Steinen sein und ihre Magie erfahren.
Das Lipperland
Wer sich Lemgo und die Externsteine angesehen hat, wird bestimmt auf den Geschmack gekommen sein, auch noch andere Highlights der Region zu entdecken. Die Stadt Detmold etwa, das große Freilichtmuseum, das Hermannsdenkmal oder die Adlerwarte Berlebeck. Naturfreaks kommen im Lipperland sowieso voll auf ihre Kosten. Von den Heidelandschaften der Senne und den Wäldern des Teutoburger Waldes und der Egge, über das lippische Berg- und Hügelland bis hin zur Weseraue bietet die Region immer wieder andere Eindrücke. Mehr als elf Prozent der Kreisfläche stehen unter Naturschutz – das ist einzigartig in Nordrhein-Westfalen.
Wer das Lipperland bei Wanderungen, Fahrradtouren oder zu Pferd entdecken möchte, wird sich manchmal auf einer Zeitreise wähnen. Denn die verschlungenen Waldpfade, die Häuser aus Bruchstein und die idyllischen Dörfer zeichnen auch heute noch ein lebendiges Bild der Vergangenheit.
Text & Fotos: Susan de Winter